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Sexualstraftäter

Legalbewährung und kriminelle Karrieren

Ein Forschungsprojekt der Kriminologischen Zentralstelle

Worum geht es?

Aufgrund mehrerer spektakulärer Vorfälle im Inland und im benachbarten europäischen Ausland sind Sexualstraftaten in jüngster Zeit verstärkt in das öffentliche Blickfeld gerückt. Dies hatte bundesweit zu einer intensiven Diskussion über Möglichkeiten des verbesserten Schutzes potentieller Opfer geführt. Mittlerweile kam es zu mehreren Gesetzesänderungen. Im materiellen Recht wurde höchstpersönlichen Rechtsgütern wie der sexuellen Selbstbestimmung durch eine Neugestaltung der Strafrahmen mehr Gewicht verliehen. Im Vollzugsbereich erfolgte ein Ausbau der therapeutischen Möglichkeiten und eine Verschärfung repressiver Maßnahmen, wie etwa der Sicherungsverwahrung.

Für eine sachlich fundierte, rationale Kriminalpolitik ist aber auch eine Verbesserung rechtstatsächlicher Erkenntnisse über den tatsächlichen Umfang der Sexualstraftaten sowie zur Rückfälligkeit und kriminellen Karriere von Sexualstraftätern erforderlich. Aus den amtlichen Rechtspflegestatistiken lassen sich hierzu nur begrenzt Informationen entnehmen. Bei den zu dieser Thematik bereits vorliegenden Publikationen handelt es sich meist um Studien über ausgewählte Teilgruppen (z.B. Begutachtungsfälle oder Maßregelpatienten), die sich auf relativ kleine, nicht verallgemeinerbare Stichproben beziehen. Oftmals wird auch nicht nach der Art des verübten Sexualdeliktes differenziert. Zudem sind diese Arbeiten aufgrund unterschiedlicher Forschungskonzeptionen kaum vergleichbar.

Angesichts dieses unzureichenden Erkenntnisstandes führt die KrimZ seit Ende 1996 eine bundesweit angelegte empirische Studie zur Rückfälligkeit von Sexualstraftätern durch. Sie erhielt den Auftrag, verläßliche Daten über das tatsächliche Ausmaß von Sexualstraftaten, die kriminelle Entwicklung der Sexualstraftäter sowie ihre Legalbewährung zu gewinnen.

Was ist bisher geschehen?

Die Untersuchung bezieht sich auf drei Gruppen von Sexualdelikten:

sexueller Mißbrauch (§§ 174, 176, 179 StGB),

sexuelle Gewaltdelikte (§§ 177, 178 StGB in der Fassung vor dem 5.7.97),

exhibitionistische Handlungen und Erregung öffentlichen Ärgernisses ( §§ 183, 183a StGB).

Ausgangspunkt der Studie ist der Urteilsjahrgang 1987 (erstes Halbjahr). Auszüge des Bundeszentralregisters von Personen, die innerhalb dieses Zeitraumes wegen eines Sexualdeliktes verurteilt worden waren (n = 2.212), bildeten die Grundlage der Untersuchung. Anhand dieser wurden zehn Erhebungsgruppen festgelegt, die sich an den in der Bezugsentscheidung angewandten Tatbeständen und weiteren Merkmalen (z.B. Rückfälligkeit) orientieren. Für die dadurch verbleibenden Fälle konnten mittels der Registerauszüge die Vorstrafenbelastung sowie erneute Sanktionierungen nach der Bezugstat bis 1996 erhoben werden. Im Anschluß daran erfolgte die Analyse der zu den Bezugsentscheidungen angelegten Strafakten. Insgesamt wurden knapp 780 Akten ausgewertet. Besondere Berücksichtigung fand die Unterbringung von Sexualstraftätern im Maßregelvollzug. Die Auswertung dieser Fälle erfolgte in Kooperation mit Prof. Dr. Leygraf, Institut für Forensische Psychiatrie der Universität Essen.

Eine ausführliche Darstellung des Forschungsdesigns sowie ein Bericht über ausgewählte Ergebnisse der Register- und Aktenauswertung erfolgte auf der vom 2. - 4. November 1998 in Wiesbaden durchgeführten Fachtagung "Sexueller Mißbrauch von Kindern". Die Tagungsbeiträge wurden in Band 27 der KrimZ-Schriftenreihe "Kriminologie und Praxis - KUP" veröffentlicht. Zudem ist seit Mai 2001 der Endbericht zu der Erhebungsgruppe "Sexualstraftäter und Maßregelvollzug" erhätlich (Band 32 der KrimZ-Schriftenreihe "Kriminologie und Praxis - KUP").

Was sind die wesentlichen Ergebnisse?

Die Auswertungen zeigen, daß die in der öffentlichen Diskussion häufig recht pauschal behandelten Sexualstraftäter als eine ausgesprochen heterogen zusammengesetzte Tätergruppe zu betrachten sind, die teilweise sehr verschiedenartige Karriereverläufe aufweisen, auch innerhalb scheinbar homogener Deliktsbereiche.

Innerhalb eines Beobachtungszeitraums von sechs Jahren begingen knapp 20 % derjenigen Täter, die 1987 wegen eines sexuellen Gewaltdeliktes verurteilt worden waren, ein erneutes sanktioniertes Sexualdelikt. Bei den Tätern, die wegen sexuellen Kindesmißbrauchs bestraft worden waren, lag die Quote bei etwa 22%, wobei hier der Anteil derjenigen Täter, die keinen Körperkontakt aufgenommen hatten, besonders hoch ist. Dies gilt auch für jene Personen, die sich vor Erwachsenen exhibiert hatten und deshalb nach § 183 StGB sanktioniert wurden. Von diesen wurden fast 56 % in dem genannten Zeitraum einschlägig, also mit einem weiteren Sexualdelikt rückfällig.

Die Ergebnisse bestätigen daher nicht die in der Bevölkerung in jüngster Zeit vielfach geäußerten Ängste vor einer extrem hohen Rückfälligkeit gefährlicher Sexualstraftäter. Angesichts der insgesamt großen Zahl neuerlicher Verurteilungen wegen anderer, teilweise auch schwerer Delikte, vor allem bei der Gruppe der Vergewaltiger, wäre es jedoch verfehlt, die mit Sexualstraftätern verbundene gesellschaftliche Problematik zu verharmlosen. Zu bedenken ist auch, daß die Studie lediglich jene Rückfälle berücksichtigen konnte, die zu neuerlichen Verurteilungen führten. Nicht angezeigte Fälle oder solche, bei denen kein Täter ermittelt werden konnte, aber auch die vermutlich nicht seltenen Fälle, bei denen Ermittlungsverfahren wieder eingestellt wurden, lassen sich mit dem vorliegenden Forschungsansatz nicht erfassen.

Die Aktenauswertung ergab im Hinblick auf neuerliche Sexualdelinquenz für die Gruppen "Sexueller Mißbrauch von Kindern" und "Sexuelle Gewaltdelikte" einige bemerkenswerte Hinweise auf rückfallfördernde bzw. -hemmende Faktoren, die in guter Übereinstimmung mit vergleichbaren ausländischen Studien stehen (vgl. insbesondere Hanson & Bussière, 1998). Im Gegensatz zur Erhebungsgruppe "Sexueller Mißbrauch von Kindern", bei denen sich Täter mit einschlägigen Rückfalltaten von jenen mit sonstigen Folgedelikten gut abgrenzen ließen, war dies bei Tätern, die in der Bezugssache wegen eines sexuellen Gewaltdeliktes sanktioniert worden waren, schwieriger; ein Hinweis darauf, daß hier weniger das abweichende Sexualverhalten als die weitere Delinquenz an sich die Rückfälligen von den Legalbewährten unterscheidet. Dennoch können für beide Gruppen Merkmale angegeben werden, die neben anderen als Prädiktoren der Rückfälligkeit anzusehen sind:

(Einschlägige) Vorstrafen

Geringes Alter bei erstem Sexual- bzw. Bezugsdelikt

Keine Vorbeziehung zwischen Täter und Opfer

Bezugstat ohne Körperkontakt (bei sexuellem Kindesmißbrauch)

Kindliche Opfer (bei sexuellen Gewaltdelikten)

(Auch) männliche Opfer

Kein abgeschlossener oder laufender Schulbesuch

Frühere therapeutische Maßnahmen

Als weitere Ergebnisse sind festzuhalten:  

Etwa 70 % der Täter hatten nicht nur innerhalb des Beobachtungszeitraums, sondern auch zu früheren Zeiten kein sanktioniertes Sexualdelikt begangen, so daß sie unter dem Aspekt einschlägiger Delinquenz als "Einmaltäter" bezeichnet werden können.

Unter 10 % der Täter waren mindestens dreimal wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung - Vor-, Bezugs- und Folgedelikt - sanktioniert worden.

Im Vergleich zur Rückfallgeschwindigkeit bei allgemeiner Kriminalität erfolgen neuerliche Sexualdelikte seltener - nämlich zu etwa einem Drittel - schon im ersten Jahr des Beobachtungszeitraums. Noch im sechsten Jahr geschehen etwa 7 % bzw. 10 % der ermittelten Rückfalltaten.

Ein Steigerungsverhalten oder ein Deliktwechsel ist selten feststellbar. Insbesondere bei rückfälligen Tätern, die in der Bezugssache wegen sexuellen Kindesmißbrauchs ohne Körperkontakt bestraft worden waren, kommt es auch in der Folge fast ausschließlich zu exhibitionistischen Handlungen vor Kindern und/oder älteren Personen.

Nur wenige relevante Unterschiede zwischen Tätern mit und ohne einschlägigem Rückfall zeigen sich bei Männern, die sich schon in der Bezugssache wegen exhibitionistischer Handlungen vor Jugendlichen und Erwachsenen (§ 183 StGB) verantworten mußten. Auch hier spielt das Alter bei Begehung des ersten Sexual- sowie des Bezugsdeliktes und die Durchführung von therapeutischen Maßnahmen eine Rolle. Die Rückfallgeschwindigkeit ist - im Gegensatz zu den beiden anderen Gruppen - von einem schwankenden Verlauf gekennzeichnet, dessen Höhepunkt sich im 2. Jahr des Beobachtungszeitraums findet. Überwiegend traten die einschlägigen Rückfälligen weiterhin mit exhibitionistischen Handlungen in Erscheinung.

Der Abschlußbericht zu den drei genannten Deliktsgruppen erscheint in zwei Bänden; der erste befaßt sich mit sexuellen Mißbrauchsdelikten und soll Ende Juni vorliegen.

Bisher vorliegende Veröffentlichungen:

Nowara, Sabine (2001). Sexualstraftäter und Maßregelvollzug. Eine empirische Untersuchung zu Legalbewährung und kriminellen Karrieren. Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle e.V. (Kriminologie und Praxis ; Bd. 32)

Egg, Rudolf (2000a). Rückfall nach Sexualstraftaten. In: Sexuologie 7 (1) 2000, S. 12-26

Egg, Rudolf (2000b). Verlaufsformen der Sexualdelinquenz. In: Jehle, Jörg-Martin (Hrsg.), Täterbehandlung und neue Sanktionsformen. Kriminalpolitische Konzepte in Europa. Mönchengladbach: Forum Verl. Godesberg

Egg, Rudolf (Hrsg.) (1999a). Sexueller Mißbrauch von Kindern: Täter und Opfer. - Wiesbaden: Kriminologische Zentralstelle e.V. (Kriminologie und Praxis ; Bd. 27)

Egg, Rudolf (1999b). Zur Rückfälligkeit von Sexualstraftätern: eine empirische Analyse anhand von BZR-Auszügen und Strafakten. In: Kriminalistik, Jg. 53, H. 6. - S. 367 - 373

Egg, Rudolf (1998a). Zur Kriminologie der Sexualdelinquenz. In: Hans-Jürgen Kerner, Jörg-Martin Jehle und Erich Marks (Hrsg.), Entwicklung der Kriminalprävention in Deutschland (S. 81-91). Mönchengladbach: Forum Verlag Godesberg

Egg, Rudolf (1998b). Zur Rückfälligkeit von Sexualstraftätern. In: Hans-Ludwig Kröber und Klaus-Peter Dahle (Hrsg.), Sexualstraftaten und Gewaltdelinquenz (S. 57-69). Heidelberg: Kriminalistik-Verlag, 1998

Ansprechpartner: Prof. Dr. Rudolf Egg, Jutta Elz

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