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„Ein Sodomit von 13 Jahren …“

Wahn und Pogrome um Sexuelles oder sexuelle Andersartigkeit verweisen immer auf eine bürgerliche Angelegenheit, schlicht wegen der Privatheit des Sexuellen im bürgerlichen Leben, und weil sexuelle Devianzen vor allem gegen das bürgerliche (= mehrheitliche) Sexualitäts-, Ehe- und Familienverständnis verstoßen. 

Auf Seiten der aufgeklärten, internationalistischen und gebildeten Adelsherrschaft war dies augenscheinlich nie ein Thema gewesen. Sexuelle Diffamierungen gegen Minderheiten, gegen die man prozessierte - Katharer, Juden und Templer nur als Beispiele – bilden vom 4. Jahrhundert nach Chr. bis in die Zeit des Hexenwahns geradezu ein Leitmotiv der christlich-bürgerlichen Kultur bei der Zeichnung alles Nichtchristlichen. 

Todesstrafen für Kinder wurden im 17. Jahrhundert, wie gesagt, vor allem bei „unchristlichen“, „widernatürlichen“ Taten verhängt (Weber, 1991, S. 233). Zahlreiche jugendliche „Bestiarier“ und „Sodomiter“ endeten damals als „Ketzer“ unter der Hand des Henkers. 

In Zürich wurde 1538 der zwölfjährige Leonhard Fryg wegen sexueller Spiele hingerichtet. 
1565 starb dort Christian Knupp - ein Elfjähriger, den man zum Schwert verurteilt hatte - bereits am Folterseil.
1636 wurde Hans Conrad Wirtz, ein Zwölfjähriger Junge, wegen „Bestialität“ und Notzucht enthauptet. 
Ein Jahr später, ebenfalls aus sexuellem Anlass, köpfte man ein Findelkind. 
1679 starb ein Elfjähriger
1689 ein Zwölfjähriger „Bestiarier“. 
1696 wurde in Zürich ein dreizehnjähriger „Sodomit“ hingerichtet. 
Im Fall eines frühreifen elfjährigen Bettelbuben, der 1679 hingerichtet wurde, hatte ein Gutachten darauf hingewiesen, dass die „vorsetzliche, wissentliche Bosheit“ des Jungen „alles Alter übertreffe“ 

(vgl. Meret Zürcher: Die Behandlung jugendlicher Delinquenter im alten Zürich, 1400 – 1798. Dissertationsarbeit, Winterthur 1960, S. 17 ff, S. 158 ff).

Allerdings gab es auch Fälle von Inzest, die für die Kinder und die Eltern einschlägig ausgingen: 1617 im Elsass bspw. gab es das Schicksal einer Familie Schäffer, wo Mutter und Sohn in einer (vielleicht auch nur angeblichen) inzestuösen Beziehung miteinander dem Henker überantwortet wurden. 

Bei den Hinrichtungen von Mädchen verbarg sich sexuell der allerüblichste (heterosexuelle) Hintergrund: Frühreifer oder vorehelicher Liebeständel. 

In den später noch zusätzlich von den Inquisitoren stilisierten Verhörstranskriptionen verrät sich dies am häufigsten in dem Anklagepunkt „Tanz mit dem Teufel“.

Meist werden die Jungen oder Männer von den inquirierten Mädchen als Buhlteufel oder „schöne Herren“ dargestellt. Bei Jungen sind die häufigsten Aussagen, sie hätten auf sabbatös gezeichneten Hexenbällen mit vielen schönen Frauen oder Mädchen Umgang gehabt; sie seien nachts von (durchwegs weiblich gezeichneten) schönen Engeln besucht, mitgenommen oder verführt worden; oder ein gleichaltriges Mädchen hätte sie zu Zauberwerken angeleitet, „verführt“ oder in Hexentreffen bei weiblichen Bekannten oder „gemischtgeschlechtlichen“ Gruppenorgien eingeführt.

Die geradezu regelhafte Anwesenheit von Dämonen in den Berichten der Kinder, wenn gesellschaftlich anstößige sexuelle Dinge dargestellt oder aus ihnen heraus inquiriert worden sind, erklärt sich am wahrscheinlichsten durch eine seit Thomas von Aquin volkstümlich gewordene Lehre von der „mechanistischen“ Entstehung von Gefühlen und körperlichen Handlungen durch entweder göttliche oder teuflische Außenkräfte. 

Eine regelrechte bildliche Vorstellung inzwischen bei den Menschen: Insbesondere sexuelle Empfindungen und Akte werden dabei stets von physisch in der Nähe befindlichen Dämonen „erweckt“, „bewegt“ oder „gemacht“. 

Es wird deutlich, dass sich Kinder sowohl eigene sexuelle Regungen wie auch bei anderen beobachtete sexuelle Handlungen während des Geschehens tatsächlich nur dadurch erklären konnten, dass durch irgendwelche beobachteten mitanwesenden Personen diese Abläufe und eigenen Regungen magisch von außen bewirkt wurden.

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