Kinderpornografie: Die mysteriöse 12-Milliarden-"Schätzung" von ECPATFilip Schuster, 8.7.2016, creative commons Im April 2016 erschien in der wissenschaftlichen Zeitschrift Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie der Artikel Kinderpornografie. Übersicht und aktuelle Entwicklungen. [*1] Die Autoren Irina Franke und Marc Graf schreiben in dem Artikel:
Diese Aussagen sind als Teil eines wissenschaftlichen Artikels in zweifacher Hinsicht ungewöhnlich.
Eine Wissenschaftlerin fasste ihre Rechercheergebnisse zur 20-Milliarden-"Schätzung" so zusammen:
Betrachten wir nun die dritte Quellenangabe "UNICEF 2008" aus dem im April erschienenen Artikel. Es handelt sich um den 10-seitigen Text Zerstörte Kindheit von Unicef Deutschland aus dem Jahr 2008, der nicht zwischen Kinder- und Jugendlichen unterscheidet, sondern Minderjährige unter 18 Jahren mit dem Begriff Kinder belegt. [*6] In dem Unicef-Artikel heisst es:
Der Verfasser hat relativ intensiv versucht, Licht in das Dunkel dieser angeblichen 12-Milliarden-Schätzung zu bringen. Dennoch ließ sich die "Schätzung" nicht finden und daher auch nicht nachvollziehen. Ob diese Schätzung jemals abgegeben wurde, falls ja von wem und wann und auf welcher Datengrundlage - all dies bleibt unklar. Die 12-Milliarden-"Schätzung" von ECPAT ist wie Nessie: Einige wenige wollen sie gesehen haben, wirklich finden lässt sie sich nicht. Der Unicef-Artikel enthält für die "Schätzung" keine Quellenangabe. Auf Nachfrage mailte Unicef Deutschland, dass die Zahl aus Veröffentlichungen von ECPAT International stamme und auch ECPAT Österreich die Zahl veröffentlicht habe. [*8] Den Namen des Autors der Broschüre Zerstörte Kindheit wollte Unicef nicht herausgeben, so dass er nicht nach seiner Quelle gefragt werden konnte. [*9] In mehreren Emails fragte der Verfasser bei ECPAT International an, ob diese Organisation diese "Schätzung" abgegeben habe und wo sie ggf. nachlesbar ist. Diese Emails wurden überwiegend und relativ lange Zeit nicht beantwortet. Schließlich kam wohl dank vieler Nachfragen doch noch eine ausführliche und seriöse Antwort zum Thema Kinderpornografie, die aber zu der angeblichen 12-Milliarden-Schätzung nur diesen Satz enthält:
Anscheinend hat ECPAT International diese "Schätzung" also nicht abgegeben. Eigenartigerweise schreibt jedoch ECPAT Österreich in einer Pressemitteilung aus dem Jahr 2013:
Der Text enthält keine Quellenangabe. Auf Nachfrage zu den Details der "Schätzung" teilte ECPAT Österreich mit, dass man nicht mehr nachvollziehen könne, "worauf sich exakt diese Schätzung bezog" [*12]. ECPAT Deutschland antwortete zunächst nicht auf eine Anfrage zu den Details der 12-Milliarden-"Schätzung" aus der Unicef-Broschüre. Auf Nachfrage kam dann doch noch eine Antwort, die sich inhaltlich auf diese Angaben beschränkte:
Die Webseite von Interpol enthält viele Zahlen. Nach einer ergebnislosen Suche fragte der Verfasser per Email bei Interpol nach, auf welche Zahlen von Interpol sich ECPAT Deutschland bei der Schätzung des Umsatzes mit Kinderpornografie beziehen könne. Schnelle und eindeutige Antwort von Interpol:
Konfrontiert mit diesem Rechercheergebnis teilte ECPAT Deutschland dem Verfasser nun in einer Email mit:
ECPAT Österreich und ECPAT Deutschland waren über die vielen Nachfragen des Verfassers nicht sehr erfreut und zeigten sich zunehmend patzig. In der wohl letzten Email, die der Verfasser von den beiden Organisationen erhielt, wurde dann auch kulturuntypisch am Ende auf eine Grußformel verzichtet:
In der verlinkten Pressemitteilung eines Unternehmens ist - wie immer ohne Quellenangabe - von einer Interpol-Schätzung über 12 Milliarden Dollar für das "Trafficking" von Kindern und jungen Frauen die Rede. Wie beschrieben hat aber Interpol nach eigener Aussage keine Milliardenzahlen für dem Umsatz mit Kinderpornografie abgegeben. Außerdem bezieht sich der Begriff "Trafficking" allgemein auf die Ausbeutung von Menschen und nicht nur auf den sexuellen Bereich. Auf eine Email an das Unternehmen, was es mit dieser angeblichen Interpol-Schätzung auf sich habe, erhielt der Verfasser keine Antwort. Insgesamt betrachtet war die Recherche nicht vergnügungssteuerpflichtig. Meist erhielt man auf Fragen zu konkreten Details der angeblichen Kinderpornografie-Schätzung keine Antwort oder aber eine patzige, falsche oder schwammige. Eine einzige Zeile der angeblichen ECPAT-Schätzung für den Umsatz mit Kinderpornografie ließ sich nicht finden. Übrig blieb am Ende nur die dreiste Falschaussage von ECPAT Deutschland, dass sich die Kinderpornografie-"Schätzung" auf Zahlen von Interpol stützen könne, was Interpol wie beschrieben bestreitet. Realistische(re) Zahlenangaben zum Thema liefert der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss. Er schreibt auf seiner Homepage zum Thema jährlicher Kinderpornografieumsatz in Deutschland:
Am 14.10.2010 fragte Jörg Tauss beim Bundeskriminalamt an:
Die schriftliche Antwort des BKA vom 26.10.2010:
Fazit:Der Handel mit Kinderpornografie ist nach allen seriösen Quellen ein Millionen- und kein Milliardenmarkt. |