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In memoriam Frits Bernard

28. August 1920 – 23. Mai 2006

Hans Visser, in KOINOS # 51 (2006 #3)

Psychisch und körperlich stark bis ins hohe Alter ist Frits Bernard uns doch noch unerwartet durch den Tod entrissen worden. Am 23. Mai 2006 starb er im Alter von 86 Jahren in seinem Wohnort Rotterdam. Frits war Psychologe, und leistete einen wichtigen Beitrag zur Sexologie. Er war ein Mann, der national wie international die Pädophilie gründlich studiert hat. Viele Artikel, viele Bücher – darunter die Novellen Costa Brava und Vervolgde Minderheid (Verfolgte Minderheit) – erschienen unter seinem Namen (und um 1960 unter dem Pseudonym Victor Servatius, Anmerkung der Redaktion) im In- und Ausland. Es war eine stetige Produktion ab dem Zweiten Weltkrieg. Frits blieb bis zu seinem Tod tätig.

Ich habe Frits in dem letzten Abschnitt seines Lebens erlebt und ihn als einen ungemein klugen Mann kennen gelernt. Bei Versammlungen und auf Tagungen hatte er immer einen sehr bedeutenden Anteil an der Diskussion. Er war ein hochgebildeter Mann, der wirklich eine Bereicherung war. Deshalb ist sein Tod ein großer Verlust.

Frits hat sich um die Emanzipation der Pädophilen bemüht. Das heißt nicht, dass er alles, was Pädophile machten, billigte. Er war mitunter ungemein kritisch, auch wenn er Hilfe leistete. Er versuchte manchmal, Menschen zu verbessern, doch wusste er dabei, dass die Pädophilie eine Veranlagung ist, die sich nicht einfach so wegwischen lässt. Er hat es tief bedauert, dass sich in der Gesellschaft in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine wachsende Intoleranz verbreitet hat, mit viel Unverständnis, Ablehnung und Diskriminierung.

Frits hat an unzähligen Arbeitsgruppen teilgenommen, innerhalb und außerhalb der Niederländischen Vereinigung für Sexuelle Reform (NVSH). Auch international war er unentwegt tätig und seine Beiträge erschienen in mehreren Sprachen. Er bildete ein ausgezeichnetes Netz von Beziehungen, war sehr belesen und wusste, wo Barthel den Most holt. Es hat ihn betrübt, dass es in den letzten Jahren nicht mehr gelang, die Pädophilie auf die Tagesordnung zu setzen. Das Thema ist tabu. Der Pädophile darf eigentlich nicht existieren; er wird psychiatrisiert oder kriminalisiert. Man fragt sich, wie ein junger Pädophiler, der mit seiner Veranlagung ringt, sich in dieser Gesellschaft notgedrungen fühlen muss. Wer kann ihm noch weiterhelfen? Vor wenigen Jahrzehnten gab es in den Niederlanden Menschen wie Alje Klamer, Edward Brongersma und viele andere, die Verständnis zeigten, sich in die Diskussion einließen und sich um eine Antwort auf die Frage bemühten, wie ein pädophiler Mensch mit seiner Veranlagung umgehen kann.

Frits war ein Mensch, der auch selbst sorgfältig mit dieser Problematik umging. Er ging keine unverantwortlichen Risiken ein. Als man ihn einmal festnehmen wollte, zeigte sich denn auch, dass er seine Sachen gut in Ordnung hatte. Frits war einfach ein gediegener Wissenschaftler, der die Erlebniswelt des Pädophilen zu verstehen versuchte.

War die Arbeit von Frits und vieler anderer damit umsonst? Ich glaube nicht. Gewiss, wir müssen jetzt schwere Zeiten durchmachen, aber ich bin davon überzeugt, dass auf die Dauer der gesunde Menschenverstand siegen wird und man sich wieder sorgfältig mit dem Sexualempfinden von Kindern und Erwachsenen und den Beziehungen zwischen Kindern und Erwachsenen befassen wird. Kindern wie Erwachsenen ist damit geholfen. Es herrscht jetzt oft eine Atmosphäre der Hysterie, der Ablehnung, und Menschen werden verdächtigt, verfolgt. Es gibt in unserer Gesellschaft heutzutage sogar richtige ‘Pädojäger’. In einer solchen Lage sollten wir vor allem einen kühlen Kopf bewahren. Auch darin ist Frits mit ungemein gutem Beispiel vorangegangen.

Frits hat es außerdem verstanden, sich allmählich zurückzuziehen, im Hinblick auf sein hohes Alter. Er wollte oft nicht mehr im Vordergrund stehen. Aber in den hinteren Reihen war er mit seinem Anteil, der sich oft als unentbehrlich erwies, unübersehbar anwesend.

Ich bin sehr froh, dass ich Frits kennen lernen durfte, dass ich von ihm lernen durfte. Er ist für mich in mancher Hinsicht ein gutes Vorbild gewesen. Das trifft auch für alle anderen zu, die mit Frits in engem Kontakt standen. Das Auftreten dieses klugen Mannes wird uns sehr fehlen. Wir sind dankbar dafür, dass es ihm vergönnt war, ein so gesegnetes, hohes Alter zu erreichen und so lange für uns alle produktiv zu sein.

Hans Visser, ev. Pfarrer

Diakonisches Zentrum Paulus-Kirche, Rotterdam

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