Home Up   

[Die Deutsche Seiten]     [Doc. List E3]      [Doc. List E6]     [Newsletter E3] 

Aufruf zum Schutz unserer Kinder und unserer Freiheiten
Boston MA/USA, im Juni 1998

Dies ist die Erklärung einer freien Gruppe von Erziehern, Beschäftigten im Gesundheitswesen, Bewährungshelfern und anderen sozial engagierten Personen aus Boston und Umgebung. Der Aufruf wird zur Diskussionsanregung und Unterzeichnung an weitere Privatleute und Organisationen versandt. Wir hoffen, dass auch Andere den Aufruf übernehmen oder dass sie - jeweils auf ihre Situation bezogen - eigene Erklärungen formulieren.

Als Menschen, denen es um das Wohlergehen der Kinder und um eine gerechte Gesellschaft geht, erheben wir unsere Stimme. Wir wenden uns gegen die besorgniserregende Zielrichtung der derzeitigen Kampagnen zum Schutze der Kinder vor unklar definierten sexuellen Gefahren, durch welche viele Verhaltensweisen kriminalisiert und Menschen zu Sündenböcken abgestempelt werden. Diese Kampagnen verkennen häufig die Tatsachen der Sexualität von Kindern und Jugendlichen und verwechseln manchmal Zuwendung mit Gewalt. Sie lenken von weit schwerwiegenderen Formen der Gewalt gegen Kinder und junge Leute ab und untergraben wesentliche Freiheiten von Allen. Die gegenwärtige Hysterie lässt jeden, der eine nachdenklichere Diskussion vorschlägt, Gefahr laufen, als Kindesmissbrauer abgestempelt zu werden. Im Bestreben, Kinder sowohl zu schützen als auch ihr Selbstbewusstsein zu stärken und gleichzeitig eine freie Gesellschaft zu verteidigen, bestehen wir auf einer vernünftigeren Herangehensweise, die auch durch Mitgefühl geprägt ist.

· Meistens hat Kindesmisshandlung nichts mit Sex zu tun. Es ist wichtig, sich gegen den wirklichen sexuellen Missbrauch auszusprechen, der allzu häufig innerhalb der Familien und deren Umfeld ignoriert wurde und verborgen blieb. Nicht sexuelle Gewalt und nicht sexuell motivierte Kindesmorde sind aber ebenso schwerwiegend wie sexuell motivierte Gewalttaten. Armut, Unterernährung, ethnische Diskriminierung, mangelhafte Erziehung und ungenügende Gesundheitsfürsorge sind alles Formen des Missbrauchs, die Millionen junger Menschen in unserem reichen Land bedrohen. Trotzdem gibt es keine nationale Verpflichtung, diese weit verbreiteten und tödlichen Schädigungen von Kindern Einhalt zu gebieten. Statt dessen wird unsere gesamte Aufmerksamkeit von jedem Fall gefangengenommen in dem Sex eine Rolle spielt.

· Die derzeitigen Kampagnen gegen Kindesmissbrauch machen geringe oder gar keine Unterschiede zwischen verschiedenartigsten Verhaltensweisen und Umständen. Dabei wird Sex stets mit Gewalt gleichgesetzt und Siebzehnjährige gelten als Kinder. Die brutale Vergewaltigung eines sechsjährigen Mädchens durch ihren Vater; die freiwillige sexuelle Beziehung zwischen einem vierzehnjährigen Jungen und einer dreißigjährigen Frau; eine Affäre zwischen einem achtzehnjährigen Jungen und einem sechzehnjährigen Mädchen: Dies sind ganz klar sehr verschiedene Fälle.
Nichtsdestoweniger werden sie alle vor dem Gesetz und von den Medien als Vergewaltigungen hingestellt. Wir glauben nicht daran, dass liebevolle und einvernehmliche Sexualität das Gleiche ist wie Vergewaltigung. Sie gleichzusetzen heißt Vergewaltigung zu verharmlosen. Außerdem scheinen in Sexfällen mit Kinder harte Beweise unnötig zu sein: die Beschuldigung reicht aus. Eigentümlich erscheint es auch, dass wir von immer älteren Jugendlichen als Kinder sprechen, wenn es darum geht, sie vor sexuellem Missbrauch zu schützen, wogegen wir immer jüngere Kinder als Erwachsene betrachten, wenn sie eines Verbrechen bezichtigt wurden.

· Es ist falsch irgendeine Menschengruppe zu dämonisieren und ihr die Menschlichkeit und Besserungsfähigkeit abzusprechen. Die heutigen Gesetze stempeln jeden der die Schutzaltersgrenzen nicht beachtet zu einem ´Kinderschänder´, selbst wenn weder Gewalt noch Zwang eine Rolle spielen und selbst dann, wenn die jüngere Person nur einen Monat oder einen Tag von der Schutzaltersgrenze entfernt ist. Zusätzlich führen die weitverbreitete Angst vor- und der Hass gegen Homosexualität zur klischeehaften und häufig falschen Brandmarkung schwuler Menschen als Kindesmissbraucher. Dämonisierung ist zerstörerisch, selbst dann wenn sie sich auf wirkliche Gewalttäter bezieht.
Die, die sexuelle Gewaltverbrechen begehen, kommen nicht aus einem Vakuum. Sie kommen aus der Mitte und unseren Familien. Die weitverbreitete Botschaft ist aber, dass die Hauptgefahr für die Kinder der Fremde ist, der auf sie lauert, der Pädophile den wir entlarven und ausgrenzen können. In Wirklichkeit finden die meisten sexuellen Kontakte zwischen Erwachsenen und Minderjährigen im Kreis der Familie und Freunde statt. Gefährliche Täter als völlig anders uns selbst zu betrachten, verhindert dass wir die wahren Wurzeln solcher Verbrechen erkennen. Eine andauernde Stigmatisierung macht nicht nur eine Reintegration derer die sich selbst rehabilitiert haben, in die Gesellschaft unmöglich, sie signalisiert auch einen Zusammenbruch der bürgerlichen Werte.

· "Schützt unsere Kinder" war einer der Schlachtrufe der die Zwangsmaßnahmen des Staates ausweiten und Inhaftierungen erleichtern sollten. Die letzten beiden Jahrzehnte haben viele neue Formen staatlicher Repression im Namen des Kinderschutzes erlebt: Es gibt umfassende neue Zensurgesetze; Register zur lebenslangen Verfolgung und öffentlichen Anprangerung von Menschen; öffentliche Absichtserklärungen, diejenigen einzusperren, welche zwar nicht eines Verbrechens überführt aber als gefährlich eingeschätzt werden; lebenslange Bewährungsauflagen für Sexualstraftäter in einigen Staaten und obligatorisches Lebenslänglich ohne die Möglichkeit zur Entlassung bei Wiederholungstaten; Ermächtigung der Polizei in manchen Rechtsprechungen zur Gesinnungsschnüffelei, um jene, die Inhaftiert oder auf Hafturlaub oder in Hausarrest sind, mit obligatorischen Lügendetektortests und Aversionstherapien zu überwachen: gesetzliche Verpflichtung zur Berichterstattung, die Ärzte und Therapeuten zu Agenten des Staates machen; Einschränkungen der Versammlungsfreiheit; Extra-Territorialität, die es erlaubt, Bürger für Taten außerhalb ihres Staates oder Landes zu verfolgen, selbst wenn ihre Taten unter der anderen Rechtsordnung legal sind. Diese Angriffe auf die bürgerlichen Freiheiten konnten passieren, weil so wenige das Risiko eingehen wollten, als milde gegen Kinderschänder angesehen zu werden. Unserer Meinung nach sind bürgerliche Freiheiten unteilbar. Wir meinen, dass längere Haftstrafen, härtere Vollzugsbedingungen oder die Rufe nach der Todesstrafe lediglich die Gewalt verlängern und eskalieren lassen. Repressive Staatsmethoden können nicht fein säuberlich nur die schlechten Menschen treffen. Sie bedrohen uns alle.

· Der Einfluss und die Unberechenbarkeit der Gesetze und der Einstellung, welche durch diese Kampagnen hervorgebracht wurden haben eine zerstörerische Barriere zwischen Erwachsenen und Kindern aufgebaut. Gegenwärtig haben fürsorgliche Eltern allen Grund zur Befürchtung, dass jede ihrer Zärtlichkeiten als Missbrauch gebrandmarkt wird. Diese Furcht bewirkt, dass Erwachsene - seien es Eltern, Lehrer oder Fremde - häufig das, was alle Kinder mit am meisten benötigen oft zurückhalten, nämlich die liebevolle und respektierende Zuwendung.

· Die wahre Herausforderung bestünde darin, Programme für Kinder und Jugendliche zu fördern und aufzubauen, die engagierte, liebende, rücksichtsvolle und ganzheitliche Menschen hervorbringen. Dazu gehören Kinderhorte, Schüler - Nachmittagsbetreuungen, sexualitätsbejahende Sexualerziehung und bessere Ausbildung und Bezahlung für die, die mit Kindern arbeiten. Das Ziel all dieser Programme sollte es sein, junge Leute zu befähigen, ihre eigenen Entscheidungen über ihr Leben selbständig fällen zu können. Kinder und Jugendliche sollten sich selbst nicht als mögliche Opfer sehen sondern als Teil einer Gemeinschaft, die sie unterstützt und nährt, sie ermutigt, für sich selbst zu sprechen und aus eigenem Antrieb verantwortlich zu handeln. Wir wollen, dass Kinder das Leben lieben und nicht dass sie es fürchten. Wenn das wahr werden soll, muss es Erwachsene geben, die mutig genug sind, einen ehrlichen und konstruktiven Zugang zu Jugend und Sexualität zu finden und ein Ende der vorherrschenden Hysterie zu fordern. Nur dann werden wir dazu fähig sein, jene Freiheiten zu schützen, die wir zu unserer vollen Entfaltung alle benötigen.

Gezeichnet

Dr. Richard Pillard, Professor für Psychiatrie, Boston University Medical Center; Paul Shannon, Erzieher; Cathy Hoffmann, Friedensaktivistin; Chris Tilly, Wirtschaftsprofessor, University of Massachusetts at Lowell; Marie Kennedy, Professorin für Stadt und Gemeindeplanung; Eric Entemann, Mathematikprofessor; Tom Reeves, Professor für Sozialwissenschaften; Boh Chatelle, Schriftsteller und Ant-Zensur-Aktivist; Jim D`Entremont, Stückeschreiber und Ant-Zensur-Aktivist; Ann Kotell, Angestellte im Gesundheitswesen; Carol Thomas, Soziale-Gerechtigkeits- und Religions-Aktivistin; French Wall und Bill Andriette, schwule Schriftsteller und Verleger; Nancy Ryan, Feministin; Reehee Garofalo, Volkskundeprofessor; Dianne McLaughlin, Bewährungshelfer; John Miller, Wirtschaftsprofessor; Molly Mead, Professorin für Stadt-und Sozialplanung; John MacDougall, Soziologieprofessor; Laurie Dougherty, Sozialwissenschaftlerin und Herausgeberin; Monty Neill, Erzieher und politischer Aktivist; Rev. Margaret Hougen und Rev. Edward Hougen; Roswitha and Ernest Winsor, Strafverteidiger; Paula Westberg, Lehrerin; Rosalyn Baxandall, Amerikanistik-Professorin und Sozialaktivistin ( New York ); Chris Vance, Erzieher und Betreuer von bisexuellen Jugendlichen; Mark Salzer, Lehrer und politischer Aktivist; Barry Phillips, Erzieher; Clark Taylor,Lateinamerikanist; Sarah Bartelett, Erzieherin; Noel Rosenberg, Computertechniker; und andere. 

[Die Deutsche Seiten]     [Doc. List E3]      [Doc. List E6]     [Newsletter E3] 

Home Up